Kaum eine europäische Wahl verging in den letzten Monaten ohne die sorgenvollen Leitartikel am Tag danach: über den Triumph der Vereinfacher, den Niedergang der etablierten Parteien und die Krise der Demokratie. In Frankreich dominiert der Front National die politische Landschaft, in Deutschland zog die AfD bei den Landtagswahlen gleich in drei Landtage ein, in den von Sachsen-Anhalt gar mit 24,2 Prozent, und in Österreich erreichte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl der Kandidat der FPÖ, Norbert Hofer die meisten Stimmen und brachte so indirekt auch den sozialdemokratischen Kanzler Werner Faymann zu Fall. Wer wählt diese rechtspopulistischen Parteien, und warum?

Neue Arbeiterparteien

"Wir sind die neue Arbeiterpartei", tönte Marine Le Pen nach den Regionalwahlen im Herbst des letzten Jahres, und zweifelsohne lag sie damit nicht ganz falsch. Seit Jahren gelingt es in Frankreich dem Front National verlässlich, die Malocher und kleinen Angestellten, die außerhalb der urbanen Zentren leben, an sich zu binden. 43 Prozent der Arbeiter wählten bei den Regionalwahlen im Herbst 2015 die Rechtspopulisten. Auch in Österreich bildet die Arbeiterschaft mittlerweile die Kernklientel der FPÖ. Am Wahlsonntag erreichten die Freiheitlichen bei den Arbeitern rekordverdächtige 72 Prozent. Und auch in Deutschland, das zeigten die Landtagswahlen im März, votierten die sogenannten kleinen Leute in wachsender Zahl für die AfD.

Für die linken Parteien ist es eine bittere Erkenntnis: Ihr historisches Subjekt vergangener Tage wendet sich desinteressiert von ihnen ab. Sozialdemokratische Funktionäre mögen noch so oft erklären, dass der Ausstieg aus der Globalisierung kaum möglich sei und eine protektionistische Wirtschaftspolitik viele Arbeitsplätze kosten würde, sie erreichen damit kaum noch jemanden. Es überwiegt längst das Misstrauen gegenüber "der Politik", das Gefühl, dass "die da oben" ohnehin machen, was sie wollen. Die Demokratie betrachten viele nur noch als Fassade einer Elitenherrschaft, in der der Demos bloß noch Stimmvieh ist. Mehr als 80 Prozent der AfD-Wähler bei den letzten Landtagswahlen waren mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden.

Vom Niedergang geordneter Strukturen

Zudem verfängt das Identitätsangebot der Populisten: Die Rückkehr zu Bekanntem und Bewährtem, zu klaren Grenzen und traditionellen Rollenbildern, wirkt attraktiv auf jene, die die Modernisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte als Verlust der Ordnung wahrnehmen. Tatsächlich scheinen sich hier die Gesellschaften derzeit zu entzweien: Für die akademisch Gebildeten sind Globalisierung und Modernisierung noch immer ein Versprechen, Weltoffenheit eine Selbstverständlichkeit. Schließlich haben sie von alledem profitiert: Vom visafreien Reisen, dem Studienaufenthalt im Ausland und freiem Kapitalverkehr. Die gesellschaftlichen Großentwicklungen der letzten Jahrzehnte, wie Individualisierung und Säkularisierung, bedeuteten für sie stets einen weiteren Zugewinn an persönlicher Freiheit und individuellen Chancen. In den unteren Schichten, oft im Ländlichen verwurzelt, fürchtet man hingegen den Niedergang bekannter Strukturen und geordneter Lebenswelten. In diesen Milieus bekommt man es schlicht mit der Angst zu tun, wenn akademische Eliten vom Ende des Nationalstaats sprechen und auf weitere Europäisierung und Internationalisierung drängen.

Dass ein Großteil der rechtspopulistischen Wähler seit jeher männlich ist, wundert dabei nicht. Schließlich bedeuteten die seit den 1960er Jahren einsetzenden Umbrüche auch eine tiefe Krise des männlichen Selbstbildes: Manuelle Fertigkeiten wurden im Zuge der Deindustrialisierung entwertet, die männliche Macht in Familie und Gesellschaft ist zumindest brüchig geworden. Auch das bildete einen Nährboden, auf dem populistisches Schwarz-Weiß-Denken, brachiale Politikvorstellungen und restaurative Forderungen gedeihen konnten.

Hochgebildete gegen Geringqualifizierte

Die Ergebnisse der österreichischen Bundespräsidentenwahl illustrieren diesen kulturellen Konflikt eindrücklich: Unter den Hochgebildeten, den Maturanten, stimmten rund 40 Prozent für den Grünen Van der Bellen und lediglich 13 Prozent für den FPÖ-Kandidaten Hofer. Das umgekehrte Bild ergibt sich jedoch bei jenen, die nur die Pflichtschule besucht haben: Hier stimmten 43 Prozent für Hofer und nur zwölf Prozent für Van der Bellen. Auch auf den SPÖ-Kandidaten entfielen nur 14 Prozent der Stimmen. Bereits 2015 warnte der Politologe Fritz Plasser vor der "außergewöhnlichen Spaltung" der österreichischen Gesellschaft entlang dieser soziokulturellen Wertefragen. Ähnliche Tendenzen lassen sich in Deutschland und Frankreich beobachten, denn auch hier gilt: Aus unterschiedlichen Bildungsabschlüssen resultieren jeweils fundamental differente Perspektiven auf Politik und Gesellschaft. Je höher die Qualifikation, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, rechtspopulistisch zu wählen. Die Volksparteien können diese Polarisierung kaum mehr einhegen und verlieren beständig an Zuspruch. Gerade die linken Parteien scheitern dabei am Widerspruch, Schutzmacht der kleinen Leute sein zu wollen, und gleichzeitig progressive Gesellschaftspolitik zu betreiben.

Freilich finden sich auch in den mittleren und höheren Statusgruppen rechtspopulistische Wähler, auch hier grassieren Verdruss und Ressentiment. Gerade der Erfolg der AfD zeigt, dass nicht nur Geringqualifizierte den Rechtspopulisten zugeneigt sind. Der Soziologe Heinz Bude spricht von einem Verbitterungsmilieu, in dem das Gefühl vorherrscht, trotz relativ guter Bildung und einem erklecklichen Einkommen unter den eigenen Möglichkeiten geblieben, im gesellschaftlichen Fortkommen gleichsam blockiert zu sein. Auch hier liegt folglich ein Protestpotenzial, herrscht eine deftige Anti-Establishment-Stimmung. In Frankreich votierten bei den Regionalwahlen immerhin 14 Prozent der Akademiker für den Front National. Dennoch gilt: Bei der Wahl populistischer Rechtsparteien bilden die unteren Schichten das verlässlichste Elektorat.

Prekärer Wohlstand und Abstiegsangst

Zu den aktuell dominierenden Wertekonflikten kommen materielle Sorgen, die Angst vor Statusverlust und sozialem Abstieg. Die eigene wirtschaftliche Lage, auch dies zeigen die Wählerdaten, bewerten die Anhänger der Rechtspopulisten deutlich schlechter als der Bevölkerungsdurchschnitt, in die Zukunft blicken sie pessimistischer. Ob sie tatsächlich vom Abstieg bedroht sind oder ihre Angst unbegründet ist, ist für die Wahlentscheidung dabei nicht unbedingt erheblich. Entscheidend ist das Gefühl, dass der eigene prekäre Wohlstand zu entgleiten scheint, dass andere bevorteilt werden, während man selbst höchstens stagniert. Flüchtlinge, Zugewanderte und überhaupt "die anderen" werden zur Projektionsfläche persönlicher Krisen, und Abstiegsängste und rassistische Einstellungen brechen sich Bahn. Ein Bild, das die Rechtspopulisten genüsslich zuspitzen. "Österreich zuerst muss auch am Arbeitsmarkt gelten", lautet etwa eine Parole des FPÖ-Manns Hofer.

Gegen Hofer mobilisiert nun eine breite Bewegung für den grünen Gegenkandidaten Alexander Van der Bellen, um einen Rechtsaußen als Bundespräsidenten zu verhindern. Dass sie Erfolg haben wird, mag man hoffen, die Chancen stehen zumindest nicht schlecht. Allein, es wird wohl eine Bewegung der Gebildeten und Gutsituierten bleiben. Ein Mittel gegen die voranschreitende Entzweiung scheint derzeit kaum in Sicht.