Ich habe Deng 1975 kennengelernt – ein Jahr bevor Mao starb. Deng war damals stellvertretender Ministerpräsident und im Westen noch wenig bekannt. Sein Aufstieg aber bereitete sich schon vor.

Wir haben lange Gespräche während meines Chinabesuchs geführt – es war übrigens der erste eines bundesdeutschen Regierungschefs. Allerdings habe ich damals noch nicht begriffen, was für ein großer Reformer vor mir saß.

Was ich spürte, war: Man muss Angst um das Leben dieses Mannes haben. Schon zwei Mal hatte ihn Mao abgesägt. Deng war äußerst vorsichtig: Bei meinem langen Gespräch mit Mao saß er schweigend dabei. Später wiederholte er mir gegenüber Wort für Wort, was der Große Vorsitzende gesagt hatte. Aber er war mir irgendwie sympathisch, vielleicht weil ich durchschaute, dass er schauspielern musste und das nicht gerne tat.

Das nächste Mal trafen wir uns 1984. China feierte den 35. Jahrestag der Republikgründung von 1949 , und ich kam als Privatperson, nicht mehr als Kanzler. Diesmal waren unsere Gespräche sehr viel zwangloser und offener, und ich konnte mir nicht verkneifen, ihn ein bisschen zu piksen. "Ihr chinesischen Kommunisten seid unehrliche Menschen", sagte ich: "Ihr behauptet, Kommunisten zu sein, aber was ihr macht, ist konfuzianisch."

Das war ein Gedanke, der mich damals beschäftigte, denn ich hatte den Eindruck, dass auch die KP dem konfuzianischen Prinzip folgte, Harmonie durch strenge Ordnung herzustellen. Wie die chinesischen Kaiser hatten die Kommunisten dazu eine Bürokratie mit getreuen Staatsbeamten aufgebaut. Deng brauchte ein paar Sekunden, um auf meinen Einwurf zu reagieren. Dann antwortete er: "So what?" – "Na und?" Das war alles, was er dazu sagte, und das zu einer Zeit, als es noch tabu war, Konfuzius überhaupt zu erwähnen!

Deng war 1984 längst dabei, China nach außen zu öffnen. Diese Öffnung war für ihn das entscheidende Instrument, um das Land zu modernisieren und jenen Aufschwung in Gang zu setzen, der bis heute anhält. Seine wirtschaftlichen Reformen gingen freilich mit einer harten politischen Linie einher, wie sich 1989 zeigte, als er das Militär gegen die Studenten auf dem Tiananmen-Platz einsetzte. Die westlichen Medien haben das damals mit einem meines Erachtens übertriebenen Unverständnis für die chinesische Regierung als Massaker bezeichnet.

Doch was hätte Deng tun sollen? Ein sowjetischer Staatsbesuch durch Gorbatschow war im Gange, aber Deng hatte keine ausreichenden Polizeikräfte zur Verfügung. Wenn er den Platz des Himmlischen Friedens nicht hätte räumen lassen, hätte die Regierung "das Gesicht verloren".

Aufgezeichnet von Hella Kemper und Christian Staas