Humor ist etwas Ernsthaftes

Die Arbeitswelt wird derzeit noch vom Ansatz dominiert, nur autoritäre Chefs seien erfolgreiche Vorgesetzte – das könnte sich nun schrittweise ändern.

Matthias Müller
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Charlotte Friedli warnt vor dem falschen Einsatz von Humor. (Bild: Christoph Ruckstuhl)

Charlotte Friedli warnt vor dem falschen Einsatz von Humor. (Bild: Christoph Ruckstuhl)

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatte jüngst die wachsende Zahl an psychischen Erkrankungen in den entwickelten Volkswirtschaften angeprangert. In allen OECD-Ländern seien diese Krankheiten zunehmend ein Problem für die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Sie verursachten Kosten, die von der Bevölkerung, den Arbeitgebern und der Wirtschaft als Ganzes getragen würden, indem die Beschäftigung sinke, die Arbeitslosigkeit steige und damit erhebliche Produktivitätseinbussen verbunden seien, heisst es in der OECD-Studie « Psychische Gesundheit und Beschäftigung: Schweiz ».

Hohe Kosten

Laut der Organisation verursachen psychische Krankheiten – wie Stress, Burnout oder Depressionen – der Schweizer Wirtschaft Kosten in Höhe von rund 3,2% des Bruttoinlandprodukts (BIP) durch Arbeitsausfälle, Sozialausgaben für vorübergehend oder ganz aus dem Arbeitsleben ausgeschiedene Beschäftigte sowie zusätzliche Gesundheitskosten (vgl. Grafik). Ein Teil dieser Kosten in Form sinkender Effizienz dürfte nur schwer zu messen sein und deshalb nicht in die Berechnungen eingehen.

Auch wenn es kein Patentrezept gegen diesen schwer zu fassenden Kostenblock und die dahinterstehenden persönlichen Schicksale gibt, geht der Leiter der Fachrichtung «Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik» an der Universität Zürich, Willibald Ruch , zumindest von einem indirekten Zusammenhang zwischen Humor und der Fähigkeit, mit Stress umzugehen, aus. Humorvollen Menschen gelinge es, eine notwendige Distanz zu wahren und damit den Blickwinkel zu öffnen, sagt Ruch, der sich seit 1980 mit dem Thema «Humor» wissenschaftlich beschäftigt und weltweit als einer der führenden Experten auf diesem Gebiet gilt.

Im Umkehrschluss heisst das jedoch auch, dass es humorlosen Personen an Distanz und Selbstreflexion mangelt, wodurch sie in stressigen Situationen einen Tunnelblick einnehmen und damit nicht offen sind für alternative Lösungsansätze. Darunter leidet im Berufsalltag jeder Einzelne, weil es ihm nicht gelingt, Stress zu bewältigen, und ein Team als Ganzes, weil es nicht kreativ ist, um Probleme zu bewältigen. Psychologen haben dieses Phänomen mit Gruppen getestet. Es erwiesen sich jene Personen anschliessend als kreativer, die zuvor humorvoll auf die Aufgabe vorbereitet worden waren, als die Vergleichsgruppe, bei der das nicht der Fall gewesen war.

Doch was versteht man unter Humor? Laut Ruch existiert weltweit keine einheitliche Definition, und sie hängt vom jeweiligen Kulturkreis ab. Im deutschsprachigen Raum nähert man sich dem Begriff über die im Duden zu findende Erläuterung: Humor sei die Fähigkeit, Gabe einer Person, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Schwierigkeiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen, sie nicht so tragisch zu nehmen und über sie und sich lächeln zu können. In diesem Sinne sei Humor eine Form, um gemäss dem Sprichwort «Humor ist, wenn man trotzdem lacht» mit den Widrigkeiten des Lebens positiv umzugehen, sagt Ruch.

Der Wissenschafter ist überzeugt, dass Humor erlernbar ist. So bereiteten sich alle Tiere spielend auf den späteren Ernst des Lebens vor. Spielen sei nicht nur den Tieren, sondern auch den Menschen angeboren, ergänzt Ruch. Und Humor sei nichts anderes als ein spielerischer Umgang mit Ideen.

Für Cornelia Schinzilarz ist Humor eine Lebenshaltung. (Bild: Christoph Ruckstuhl)

Für Cornelia Schinzilarz ist Humor eine Lebenshaltung. (Bild: Christoph Ruckstuhl)

Kindern wird jedoch mit fortschreitendem Alter dieser Spielbetrieb Stück für Stück entzogen – der Ernst des Lebens beginnt zunächst in der Schule und setzt sich im späteren Berufsalltag fort. So geht also vielen Menschen der eigentlich angeborene Sinn für Humor – langsam, aber sicher – verloren.

Diese Entwicklung ist der Humorexpertin und Inhaberin des Kick Instituts für Coaching und Kommunikation , Cornelia Schinzilarz, sowie der Professorin im Bereich Interaktion, Kommunikation und Beratung an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Charlotte Friedli , ein Dorn im Auge. Griesgram sei weder im privaten noch im beruflichen Alltag ein Naturgesetz und hemme Personen, sagen beide unisono. Für sie ist Humor vielmehr eine innere Haltung mit vielen Facetten, die es wiederzuentdecken gilt und wovon nicht nur jeder Einzelne, sondern im beruflichen Alltag alle profitieren können; weil dadurch zwischenmenschlich das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt wird, die Kommunikation und Entscheidungsprozesse erleichtert werden und sich damit Stress abbauen lässt, wie Humorcoach Bernadette Aeschlimann in dem von Schinzilarz und Friedli verfassten Buch «Humor in Coaching, Beratung und Training» schreibt.

Humor am Arbeitsplatz ist, auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag, kein Widerspruch, sondern sein dosierter Einsatz kann den Umgang im Team erleichtern, wodurch alle stressfreier, effizienter und damit produktiver arbeiten.

Doch für Schinzilarz und Friedli beschränkt sich der Einsatz von Humor nicht allein auf den verbalen Einsatz des Stilmittels – etwa durch Unter- oder Übertreibungen. Vielmehr zählen sie auch nonverbale (Re-)Aktionen wie Lächeln, Lachen oder Körperhaltungen dazu, um Situationen freundlicher zu gestalten. So sei Lächeln eine Humorhandlung, die trainiert werden könne und mit der sich bewusst sowie gezielt freundliche Augenblicke kreieren liessen. Humor sei über den Spiegeleffekt in der Wechselwirkung ansteckend, schreiben Schinzilarz und Friedli in ihrem Buch.

Humor als – positive – Grundhaltung versucht auch die in der Personalabteilung von Raiffeisen Belalp-Simplon tätige Nadine Anthamatten im Umgang mit Lernenden zu implementieren. Viele der Jugendlichen hätten bei ihrem Berufsstart das Gefühl, eigentlich nichts richtig zu beherrschen.

Nun habe man zwei Alternativen, mit deren Fehlern umzugehen, erläutert Anthamatten ihren Ansatz. Man könne sie direkt darauf ansprechen, wodurch sich die Angst vor dem Versagen noch verstärken könne. Oder man finde in einem Gespräch heraus, was bisher gut gelaufen sei, und auf Basis dieser Stärken versuche man, bestehende Defizite auszumerzen. Es handelt sich um positiv verpackte Kritik, die sich leichter vermitteln lässt als negative.

Die gute Nachricht ist, dass Menschen ihr verschüttetes Humorpotenzial bergen können, wenn sie das Kind in sich wiederentdecken. Und der wohldosierte Einsatz dieses Stilmittels steht auch Führungskräften gut an, ohne dass sie sich dadurch bei ihrem Team zum Narren machen, sondern vielmehr das Miteinander fördern und sogar Respekt gewinnen können.

Mit Humor signalisiere man Humanität und Weisheit, fasst Ruch die Erkenntnisse eines Forschungsprojekts über Humor und Tugenden zusammen – Eigenschaften, die für die Führungsqualitäten eines Chefs sprechen.

Wohldosierter Einsatz

Voraussetzung für den wirkungsvollen Einsatz von Humor innerhalb eines Teams sei jedoch, dass man sich zumindest etwas kenne, schränkt der Wissenschafter ein. «Humor ist etwas Ernsthaftes», fügt Friedli an und verweist darauf, dass ein von den Kollegen falsch verstandener Einsatz dieses Stilmittels kontraproduktiv wirkt. Zudem sollte man nicht zu oft humorvoll wirken wollen, sonst könne aus einem Vorgesetzten innerhalb kurzer Zeit ein «Hofnarr» werden, sagt Friedli.

Wer das Kind in sich nicht wiederentdeckt, sollte darauf verzichten, im Berufsalltag humorvoll wirken zu wollen. Wem es dagegen gelingt, verlorengeglaubte Eigenschaften neu zu beleben, erweist sich und seinem Team mit humorvollen Anmerkungen – in homöopathischer Dosis – einen Gefallen.

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