Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Ground Zero: New Yorks ewige Narbe

Foto: Mary Altaffer/ AP

Datenfund bei Bin Laden Al-Qaida erwog Anschläge auf Züge in den USA

US-Ermittler werten die Daten aus dem Bin-Laden-Versteck aus - jetzt gibt es ein erstes Resultat: Al-Qaida dachte offenbar über einen Terrorakt anlässlich des Jahrestags der Anschläge vom 11. September nach. Laut einem Pressebericht beobachtete die CIA das Anwesen in Pakistan bereits seit Monaten.
Von Yassin Musharbash

Berlin/Washington - Immer wieder hat das Terrornetzwerk al-Qaida Jahrestage von früheren Anschlägen oder markanten historischen Daten zum Anlass für neue Anschläge genommen. Schon deshalb hatten unabhängige Terrorexperten und Geheimdienstanalysten in aller Welt vermutet, dass der zehnte Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 ein Datum sein könnte, an dem die Dschihadisten neues Blutvergießen planen.

Diese Annahme scheint sich zu bestätigen: Nach Angaben des US-Ministeriums für Heimatschutz finden sich auf den Datenträgern, die bei der Tötung des Qaida-Chefs Osama Bin Laden am Sonntag in der pakistanischen Stadt Abbottabad gefunden wurden, entsprechende Hinweise. Die Planungen stammen von Februar 2010. Es geht darin um Terrorakte gegen Eisenbahnlinien in Amerika.

"Im Februar 2010", zitiert der Sender ABC etwa aus einem Papier von FBI und der Heimatschutzbehörde, "hat al-Qaida mutmaßlich mit dem Gedanken gespielt, eine Operation gegen Züge an einem nichtausgeführten Ort in den USA am zehnten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 durchzuführen." Nach Angaben des Senders befinden sich unter dem sichergestellten Material Grafiken und Web-Seiten, die darauf hinweisen, dass verschiedene Terrorkomplotte in Betracht gezogen wurden. "Als eine Option", zitiert ABC weiter, "untersuchte al-Qaida, wie man versuchen könnte, einen Zug zum Entgleisen zu bringen, indem man die Gleise manipuliert, so dass der Zug entweder in ein Tal oder von einer Brücke stürzen würde."

Matthew Chandler, Sprecher des Ministeriums für Heimatschutz, sagte, die Dokumente, die man bisher durchgesehen habe, würden als Gedankenspiele eingeordnet und nicht als Ergebnis fortgeschrittener Planungen. "Ob es seit Februar vergangenen Jahres weitere Planungen gegeben hat, ist unklar", erklärte Chandler. Bisher habe die Auswertung aber noch keine Hinweise auf einen womöglich unmittelbar bevorstehenden, zu Ende ausgearbeiteten Anschlagsplan ergeben. Laut Ministeriumssprecher Chandler planen die USA nicht, die Alarmstufe für Terrorbedrohungen anzuheben. Die Pläne hätten sich in einem sehr frühen Stadium befunden und seien deswegen möglicherweise "irreführend oder ungenau oder noch nicht ausgereift".

Bin-Laden-Haus stand seit Monaten unter Bewachung der CIA

Die Erkenntnisse sind bedeutsam. Sie erhärten den Verdacht, dass Osama Bin Laden in Überlegungen zu spektakulären Anschlägen im Ausland eingeweiht war. Experten hatten vermutet, dass der Qaida-Gründer aus Sicherheitsgründen vom Tagesgeschäft abgekoppelt war, aber bei wichtigen Angelegenheiten von seiner Autorität als "Amir" oder Befehlshaber Gebrauch machte.

Bei der Erstürmung des Anwesens, in dem sich der Terrorchef offenbar mehr als fünf Jahre lang versteckt gehalten hatte, waren laut US-Medienberichten fünf Computer, zehn Festplatten und rund hundert sonstige Datenträger erbeutet worden, die derzeit an einem geheimen Ort in den USA katalogisiert und ausgewertet werden.

Nach Angaben der "Washington Post" stand das Haus bereits seit Monaten unter Beobachtung des US-Geheimdienstes CIA. Unter Berufung auf namentlich nichtgenannte Beamte schreibt die Zeitung, ein kleines Team habe von einem konspirativen Unterschlupf aus die Bewohner des Bin-Laden-Verstecks ausgekundschaftet. Dabei seien auch Satellitenüberwachung und Abhörmaßnahmen zum Einsatz gekommen. Ziel sei es gewesen, sich einen Überblick über den Tagesablauf der Bewohner zu verschaffen. Das Gebäude wurde schließlich von einem Team der Spezialeinheit Navy Seals gestürmt, Bin Laden kam dabei ums Leben.

US-Präsident Barack Obama will sich am Freitag mit den beteiligten Einsatzkräften treffen und sich persönlich bedanken. Das Treffen findet nach Angaben von US-Medien am Rande eines Besuchs in Fort Campbell im Bundesstaat Kentucky statt. Am Donnerstag hatte Obama am Ort der Anschläge vom 11. September 2001, an Ground Zero in New York, einen Kranz zum Gedenken an die Opfer niedergelegt.

Nach der US-Aktion will die pakistanische Regierung nach Medienberichten nun den ebenfalls im Land vermuteten Taliban-Chef Mullah Omar sowie Qaida-Vize Aiman al-Sawahiri fassen. Wie die Zeitung "The News" unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete, soll in nächster Zeit eine "massive Suchaktion" beginnen. Geheimdienstexperten in den USA und Europa sind einem Zeitungsbericht zufolge überzeugt, dass Bin Laden Hilfe von pakistanischen Behörden hatte.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, al-Qaida habe noch im Februar 2011 über Anschläge nachgedacht. Tatsächlich war es der Februar 2010. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Mit Material von dpa/AFP/Reuters